Bewerbungsgespräche sind stressig. Das gilt für die Bewerber:innen, die sich möglichst gut vorbereiten und einen guten Eindruck hinterlassen wollen, ebenso wie für die Recruiter:innen in den Unternehmen: Sie müssen Bewerbungen sichten, eine Vorauswahl treffen und anschließend Termine für erste Gespräche koordinieren und diese letztlich führen, häufig in Verbindung mit Vertreter:innen der Fachabteilungen. Das bedeutet viele E-Mails, viele Termine, und wenig Zeit für andere Aufgaben. Kein Wunder, dass sich die HR-Branche Unterstützung mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz hofft, um den Bewerbungsprozess zu automatisieren.
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Schon länger setzten Firmen im Personalwesen Software ein, um Bewerbungen zu verfassen oder um die eingegangenen Bewerbungen zu sichten und nach vorbestimmten Kriterien zu bewerten. So können moderne Applicant-Tracking-Systeme (ATS) eine Vorauswahl treffen und jene Bewerber:innen, deren Lebenslauf und Qualifikation besonders gut auf die Ausschreibung zu passen scheint, den menschlichen Recruitern ganz oben auf den Stapel legen. Durch den Durchbruch auf dem Gebiet der großen Sprachmodelle ergeben sich nun noch weitere Optionen, und immer häufiger steht dabei das Bewerbungsgespräch im Fokus.
Der KI-Recruiter hat immer Zeit für ein Gespräch
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Das indische Unternehmen talently.ai beispielsweise bezeichnet sich selbst als „KI-gestützte Interview Plattform“. Im Mittelpunkt stehen dialogorientierte Bewerbungsgespräche, die von einem Sprachmodell durchgeführt werden. Die Recruiter legen zunächst fest, um welche Position es sich handelt. Sie beschreiben dem Sprachmodell die Stelle, die darin enthaltenen Aufgaben und Anforderungen und welche Informationen während dem Gespräch abgefragt werden sollen. Anschließend wird ein Link an die Bewerber:innen verschickt. Diese können frei entscheiden, wann sie das Gespräch führen.
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Im Bewerbungsgespräch erwartet die Bewerber:innen ein Chatbot, mit dem sie per Spracheingabe kommunizieren können. Wie talently.ai in einem Video zeigt, fragt der Chatbot nicht nur die Motivation und Fähigkeiten der Bewerber:innen ab und stellt Rückfragen. Er kann auch Aufgaben stellen, etwa Programmieraufgaben, und diese sofort auf ihre Korrektheit hin überprüfen. Am Ende des Gesprächs spuckt die KI eine Zusammenfassung des Gesprächs aus, mit deren Hilfe die menschlichen Recruiter:innen entscheiden können, wie es mit der Bewerbung weitergeht.
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Inzwischen gibt es eine ganze Reihe an Start-ups mit Namen wie Paradox, Sapia, PreSreen und Apriora, die sich auf ähnliche Lösungen spezialisiert haben. Das US-Start-up Apriora hat 2,8 Millionen US-Dollar an Risikokapital eingesetzt, um seinen KI-Chatbot, Alex getauft, weiterzuentwickeln. Wie talently wirbt Apriora mit einem vermeintlich faireren Bewerbungsvorgang ohne menschliche Vorurteile. Aber stimmt das wirklich?
Auch ein KI-Chatbot ist nicht für Bias gefeit
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Sicher ist, dass ein Chatbot nicht auf Äußerlichkeiten wie das Geschlecht, die Hautfarbe oder die Kleidung von Bewerber:innen achtet. Auch hat er keine guten und schlechten Tage. Doch wie zahlreiche Beispiele zeigen, sind sie deshalb nicht vor Vorurteilen und Bias befreit: In den Trainingsdaten kann ein Bias enthalten sein, der später in der Anwendung reproduziert wird und etwa Frauen oder Bewerber:innen mit einem bestimmten Hintergrund unbewusst diskriminiert. Dazu kommt das Problem der Halluzinationen: Selbst wenn man einen Bewerbungs-Chatbot möglichst stark vorab in seine Schranken weist, kann niemals garantiert werden, dass er im Gespräch selbst nicht irgendetwas erfindet und den Bewerber:innen vielleicht falsche Informationen vermittelt.
Die Forscherin Sonja Köhne, die am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft über KI in der Arbeitswelt forscht, sagte gegenüber dem t3n Magazin, dass es immer problematisch sei, „wenn ein KI-System automatisiert Menschen bewertet oder in eine Rangfolge bringt“. Es sei wichtig, dass die Ergebnisse der Maschine kritisch hinterfragt werden und Menschen die letzte Entscheidung treffen. Apropos Menschen: Erfahrungsberichte zeigen, dass die Gespräche mit KI-Chatbots bei Bewerber:innen durchaus für Irritationen sorgen können.
Es ist schwer zu sagen, wie weit verbreitet die automatisierten Bewerbungsgespräche in der Praxis sind. Wie das Onlineportal Rest of the World schreibt, komme die Technologie derzeit vor allem in Indien und China zum Einsatz, zu den mutmaßlichen Kunden sollen auch bekannte internationale Firmen wie Siemens und Disney zählen, die das weder bestätigen noch dementieren. Aber auch aus den USA gibt es vermehrt Berichte von Menschen, die mutmaßlich Bewerbungsgespräche mit einem KI-Chatbot geführt haben, teils in absurden Ausführungen. Laut einer Umfrage unter US-amerikanischen Recruiter:innen aus dem vergangenen Jahr, erwägen vier von zehn Firmen, KI-gestützte Videointerviews einzusetzen.
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In der EU dürfte der Einsatz nicht so einfach sein. Gemäß der neuen europäischen KI-Richtlinie gelten „KI-Systeme, die für die Einstellung oder Auswahl natürlicher Personen verwendet werden sollen, insbesondere zur Schaltung gezielter Stellenanzeigen, zur Analyse und Filterung von Bewerbungen und zur Bewertung von Bewerbern“ nämlich als „hochriskant“. Das bedeutet, dass der Einsatz solcher Software nur unter strengen Auflagen erfolgen darf: Die Systeme müssen unter besonderen Bedingungen entwickelt werden, sie müssen einen höheren Grad an Transparenz aufweisen und außerdem müssen sie beaufsichtigt werden.
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